Der Görlitzer Schulmeister, Stadtschreiber, Ratsmann und Schöffe Johannes
Frauenburg überreichte 1476 den Mitgliedern des Rates seiner Stadt die Schrift "Über
die Pflichten des Bürgermeisters":
"Zum ersten und vor allen Dingen soll ein Bürgermeister nach seiner
Wahl sich Gott dem Allmächtigen und Maria, der Mutter Gottes empfehlen,
daß sie ihm Hilfe, Gnade und Rat, Gesundheit und Beistand verleihen wollen,
daß er der Allgemeinheit gut vorstehen, Gott zu Lobe und der Stadt zu Ehren,
Nutz und Frommen; denn ohne Gottes Hilfe kann für die Allgemeinheit nichts
fruchtbringend vollendet werden. Ferner soll ein Bürgermeister achthaben
auf seine Ratmannen, die ihm das Jahr über zur Seite sitzen, daß alle in
Liebe, Freundschaft füreinander einstehen, daß keiner gegen den anderen
seinen Willen durchsetzen will oder jemandem heimlichen Haß trägt. Wenn
der Bürgermeister so etwas fühlt, so soll er dem nach bestem Können entgegentreten,
damit die Ratmannen nicht parteiisch werden; denn wo solches überhandnimmt,
kann nichts Nutzbringendes vollbracht werden.
Item soll ein Bürgermeister darauf achten, daß die Ratmannen nicht leichtfertig
oder mit ungebührlichem Benehmen im Ratsstuhl sitzen, sondern sie sollen
in stiller Sitzung die Sachen der Armen und der Reichen fleißig anhören
und zwischen ihrer beider Klage und Antwort der Gerechtigkeit anhangen.
Item soll sich ein Bürgermeister hüten, daß er von keinem, der mit ihm
zu tun hat, sich im Zorn oder in ungebührlichem Betragen sehen lassen,
die Frommen und die Guten soll er mit sanften und linden Worten, die Übeltäter
aber mit heftigen Worten ohne Zorn und Geschrei abfertigen, den Guten zur
Stärkung, den Übeltätern zu Strafe und Besserung.
Item soll ein Bürgermeister fleißig darauf achten, daß er bei den Übeltätern
unterscheide, ob sie ihre Tat aus Schwachheit oder aus eigenem Übermut
und Bosheit getan, auf daß Buße und Strafe der Schuld angemessen seien.Er soll bei den Strafen auf die Schuld, die Person, die Zeit und die Ursachen
aufmerken, und die Buße so setzen, daß sie nicht größer sei als die Schuld.
Item soll ein Bürgermeister sehr darauf achten, daß er sich in all seinem
Tun so verhalte, daß ihn die Gemeinde mehr liebe als fürchte, doch so,
daß er um Gunst, Liebe, Freundschaft, Zorn, Feindschaft, Barmherzigkeit,
Neid oder Haß nichts tue, sondern er soll der Gerechtigkeit anhangen und
Maß halten und Kenntnisse haben in allen Dingen.
[Bei Klagen soll er beide Parteien gleichmäßig anhören und ohne zu säumen
gerecht richten.] Er soll beständig und fleißig auf dem Rathaus sitzen
und täglich den Leuten Gehör schenken und jedem zu seinem Recht verhelfen,
so daß der Arme vor dem Reichen und der Reiche vor dem Armen geschützt
werde.
Während seiner Amtszeit soll sich ein Bürgermeister nicht zu gemein
mit den Leuten machen, noch allzu gesellig sein, denn daraus kommen Verkleinerung
und Verachtung, und seine Gebote werden um so leichtfertiger aufgenommen.
Allen, die sein Haus besuchen, Fremden und Einwohnern, soll er freundlich
und würdig entgegentreten und sich nicht kärglich finden lassen der Stadt
zu Ehren und ihm selber zur Herrlichkeit.
Er soll ehrbar gekleidet gehen, der Stadt und dem Rat zu Ehren, den
Fremden und Einwohnern zu würdigem Anblick und ehrbarem Vorbild.
Item ein Bürgermeister soll die Leute mit wenig treffenden Worten, die
für die Sache genügen, abfertigen und besonders vor dem Rate, denn dadurch
beweist er Reife des Gemütes und Weitblick im Handeln.
Item ein Bürgermeister soll auf seine Stimme, sein Gesicht und seine
Bewegungen achten, daß die der Zeit und dem Stande derer, mit denen er
zu schaffen hat, sowie dem Sachverhalt angemessen sind; denn zum traurigen
Handel gehört ein trauriges Gemüt und Gesicht und zum ernsten ein ernstes
Gemüt, ernste Stimme und ernstes Gesicht.
Item ein Bürgermeister soll darauf achten, daß er nicht in irgendwelchen
Dingen sträflich erfunden wird, in denen er andere strafen will und soll
...
Ein Bürgermeister soll vor allen Dingen darauf achten, daß Gottes Ehre
und Sein Dienst gemehret werden; denn das haben selbst die Heiden getan.
Ein Bürgermeister soll sich eher einen Tod in Ehren wünschen, ehe in
seiner Amtszeit durch seine Säumigkeit und Nachlässigkeit der Stadt Gnaden,
Freiheiten und Herrlichkeiten gemindert werden dürfen.
Item ein Bürgermeister soll darauf achten, daß er in seiner Amtszeit
wenig Schatzung seiner Gemeinde auferlege, wenn er es machen kann. Wäre
es aber aus redlichen Ursachen notwendig zum Nutzen der Allgemeinheit,
so soll er dabei nicht sparen, denn oft werden mit tausend Schock in der
kommenden Zeit drei- oder viertausend erworben."